Technokratie
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Warum Technokratien zum Autoritarismus tendieren

Vielen scheint der Zusammenhang aus staatlicher Entscheidungsfindung, Berufung von Expertengremien und der Harmonisierung, Abstimmung und Lenkung von dezentralen Entscheidungen sowie dem daraus folgenden Verlust an Freiheit, Selbstbestimmung, Resilienz und zunehmender autoritärer Führung nicht klar zu sein.

Daher versuche ich diesen Zusammenhang hier so deutlich wie möglich zu machen.

Je mehr Entscheidungen vom Staat getroffen werden, desto mehr Bürokratie benötigt das Gemeinwesen. Das ist ein so einfacher Allgemeinplatz, dass er in den politischen Debatten meist zu kurz kommt. Wenn von besseren Regeln, mehr Regulierung und höheren Mindeststandards die Rede ist, bedeutet das gleichzeitig, dass diese Regeln, Maße und Eingriffe jemand verwalten, kontrollieren und erarbeiten muss.

Das geschieht in einem demokratischen Gemeinwesen durch die Bürokratie. Die Bürokratie arbeitet aber grundsätzlich anders als die sonstige Gesellschaft, was auch häufig übersehen wird.

In der Sicht der Reformer hingegen, stellt sich das Problem besonders einfach dar: Es bestehe ein Missstand, die Experten seien sich einig und daher solle der Staat das Problem „einfach“ und mit harter Hand schnell aus der Welt schaffen. Punkt und fertig.

Hier kommt die Demokratie dazwischen. Erst müssen Gremien gebildet werden, diese erarbeiten Papiere, diese Papiere werden von den Parteien auf Sonderinteressen für ihre Wahlklientel abgesucht und innerhalb der Parteien als Ware für Mehrheiten gehandelt. Am Ende wird ein Kompromiss dem Parlament vorgelegt, die Parlamentarier sind der Komplexität in aller Regel aber nicht nicht gewachsen und daher wird einfach nach parteipolitischer Linie entschieden.

Wenn das Gesetz diesen Prozess hinter sich hat, müssen die Verwaltungen gegründet, das Geld genehmigt und die Beamten eingestellt werden. All das dauert unendlich viel Zeit. Schon hier sind viele Reformer unruhig. Wieso können wir nicht schneller Unheil aus der Welt schaffen?

Sie wollen nicht begreifen, dass all dies dem Schutz ihrer individuellen Rechte dient. Sie denken eben nur kurzfristig und utilitaristisch vom Ergebnis her. Sie fragen sich nur: „Wie viele Menschen wurden geimpft, wie viele Menschen besitzen einen Job oder eine Krankenversicherung?“, unabhängig davon, wie dieses Ergebnis zustande kam.

Wenn man derart argumentiert, und so argumentiert die Mehrheit der Sozialwissenschaftler, erscheint der gütige Diktatur als der viel bessere Krisenlöser als die Demokratie und die Bürokratie.

Schon aus diesem Grund wird die Demokratie heute mehr und mehr in Misskredit gebracht. Es war nie die Idee, dass die demokratischen Institutionen alle Probleme der Bürger schnell für sie lösen sollen. Unsere westlichen Demokratien setzten vielmehr auf die Selbstverantwortung des Einzelnen, auf die Stärke der Zivilgesellschaft und die Initiative der Privatwirtschaft. Der Staat kam als letztes und sollte langsam, bedächtig und abwägend agieren.

Das kann er nur, wenn er nicht Krisenmanager und nicht umfassender Planer des Lebens der Menschen sein soll.

Doch seit 2008 ist dieses Bild der Demokratie vorbei. Seit dieser Zeit hangeln wir uns von einer Krise zur nächsten und stetig erwartet der Bürger schnelle Lösungen von „der Politik“ und „dem Staat“. Finanzkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, Coronakrise, überall versagten angeblich die westlichen Demokratien darin, gute Lösungen durchzusetzen, weil sie zu lahm, von Konzerninteressen ausgehebelt und zu zaghaft seien.

Aufgrund dieser Unzufriedenheit wird die Macht der Exekutive und der Verwaltungen stetig gemehrt, in der Hoffnung, dann endlich wieder ein „Primat der Politik“ erschaffen zu können. Übersehen wird dabei, dass wir auf diesem Weg immer mehr eben jene Freiheiten beschneiden müssen, die unser Gemeinwesen bisher ausgezeichnet haben.

Denn Verwaltungen müssen natürlich umso effizienter und effektiver sein, desto kürzer die Befehlsketten sind. Die Bürokratie funktioniert nun einmal nach dem Befehls- und Gehorsamsprinzip. Schon aus diesem Grund muss die Verwaltung autoritärer werden, will sie effizienter Entscheidungen treffen. Auch bei der Technokratie, also der vorgeschalteten Verwaltung, die der Legislative, dem Parlament und deren Gremien an die Seite gestellt wird, gibt es eine Tendenz zum Autoritären.

Will man die Gesellschaft lenken, müssen die Reformen aus einem Guss sein. Sie müssen möglichst wenig Widersprüche erzeugen und in sich tragen. Die Reformen müssen schnell und geschlossen umgesetzt werden. Zweifel und Widerspruch halten diesen Prozess nur auf.

Die Demokratie ist aber der institutionalisierte Zweifel und der institutionalisierte Widerspruch. Daher müssen die Verfahren immer weiter von echtem, offenem Diskurs hin zu Kampfabstimmungen nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip geführt werden.

Die echten Sachentscheidungen fallen dann bereits in den technokratischen Gremien, in denen der Masterplan erarbeitet wird, der die Gesellschaft verändern soll. Danach ist das Parlament nur noch zum Abnicken und Umsetzen des Masterplans da, nicht um echten kritischen Einspruch zu erheben.

Die Technokratie besitzt daher eine inhärente Tendenz, freie und offene Gesellschaften in unfreie und autoritäre zu verwandeln.

Die Technokratie muss, um Bestand zu haben, von ihren Technokraten glaubhaft das Bild der Allwissenheit, Allgüte und Allmacht vermitteln. Bröckelt dieses Bild, bröckelt die Expertenherrschaft.

Wir haben uns mit dieser Sehnsucht nach großen Reformen, die endlich alle Probleme lösen sollen, auf einen unheilvollen Pfad begeben. Die Technokratie mausert sich mehr und mehr zum Normalzustand und nicht mehr zum Ausnahmefall in einer echten Krisensituation.

Dabei ist es besonders unheilvoll, dass die Gesetze der Wirtschaft und der Gesellschaft mehr und mehr von der Technokratie ignoriert werden. Es machen sich utopische Pläne breit. Scheitern diese utopischen Pläne, muss die Gesellschaft noch stärker reguliert werden, denn der Plan der Experten kann nicht die Ursache des Scheiterns gewesen sein.

Uneinsichtigkeit und Ignoranz säumen den Weg einer Elite, die jeden Kompass und jede Orientierung an der Realität verloren hat.

Die Krisen des Westens sind struktureller Natur und sie müssen durch langfristige Reformen gelöst werden, welche die Freiheit der Bürger und nicht die Weisheit einer Elite in ihr Zentrum stellen.

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2 Kommentare

  1. Ich bestreite, dass viele Handlungsfelder, die das Etikett „Krise“ tragen, Krisen im ursprünglichen Sinn des Wortes sind, d.h. der tiefste Punkt eines Konflikts, von dem aus es nur noch aufwärts oder in die Katastrophe gehen kann. Es ist typisch für den öffentlichen Diskurs, jedes Thema zur Krise zu erklären. Wer der Öffentlichkeit den Floh ins Ohr setzen kann, dass es 5 vor 12 ist, und darum schon fast zu spät zu handeln, gewinnt die Herrschaft über die Angst der Menschen und damit Macht über uns. Nehmen wir die angebliche Klimakrise oder gar den Klimanotstand. Gretas Tantra „We have no time!“ wird verstärkt durch die Warnung von Wissenschaftsaktivisten vor Kipppunkten, die den Zusammenbruch wahlweise des Golfstroms, der Jetstreams usw. einleiten. Wer das glaubt, ist für einen abwägenden Diskurs verloren.

    1. Lieber Helmut, da hast du natürlich vollkommen recht. Über den Begriff Krise könnte man eine eigene Abhandlung verfassen. Es gibt natürlich schon so etwas wie akute Probleme, die auch in einem kurzen Zeitfenster beantwortet werden müssen. Wenn Putin Soldaten an die Grenze bringt, kann man nicht erst in 10 Jahren antworten. Wenn die Bevölkerung geimpft werden soll, muss das besser heute als morgen geschehen. Das akzeptiere ich. Aber wie du sagst, findet keine ordentliche Anamnese tiefer liegender Probleme mehr statt. Was soll Nachhaltigkeit überhaupt bedeuten und bezwecken, worin besteht die Klimakrise genau und wie sicher sind die Erkenntnisse überhaupt? Wie du richtig ansprichst, hätte man noch die Herrschaftstechnik, etwas zur akuten Notlage zu erklären und damit dem Diskurs zu entziehen, genauer besprechen können. Material für weitere Aufsätze 🙂

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