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Das Streben nach Vermögen als das Streben nach Selbstverwirklichung

Sozialpolitik entstand vor dem Hintergrund eines Hemmnisses: Das Hemmnis liegt darin, dass eine Kluft besteht, zwischen der inneren und der äußeren Freiheit des Menschen. Und dies ist ihm oft von Übel, denn es kann das Leben zur Tragödie werden lassen. Auf der einen Seite fällt es den meisten Menschen nicht schwer, sich in Gedanken und Träumen vorzustellen, was sie gern erreichen würden. Die Ideen der Menschen sind weitläufig. Aber wir alle kennen die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man versucht, ihnen in der Wirklichkeit gerecht zu werden. Liberale Sozialpolitik versucht deshalb, die Ergebnisse der inneren Freiheit, unser Wollen, in ein Tun zu übersetzen. Denn häufig stehen diesem Wollen gesellschaftliche, wirtschaftliche oder kulturelle Hindernisse im Weg.

Sozialpolitik, richtig ausgeführt, mindert somit die Hürden der Selbstentfaltung und ermöglicht es so den Individuen, zu einem größeren Freiheitsraum zu gelangen. Der Schlüsselbegriff, der diese Vermittlung zwischen innerer und äußerer Freiheit des Menschen am besten beschreibt, ist der Begriff des Vermögens. Wenn man vermögend ist, vermag man es, seine Ziele zu erreichen. Man kann aber auch ein Vermögen besitzen, welches das Ergebnis des eigenen Erfolges ist, als kumuliertes oder geronnenes Erspartes. Das Vermögen kann sich ganz unterschiedlich äußern. Es kann sich in geistiger Reichhaltigkeit, in einem großen Haus, in einer prallen Brieftasche oder dem Zutritt zu einer guten Gesellschaft ausdrücken.

Das Vermögen ist dabei an den Einzelnen als seinen Träger gebunden. Sein Charakter und seine Fähigkeiten sind die Wiege des wahren Wohlstandes von Vermögenswerten. Nicht die Bücher, die Autos oder die Unternehmensanteile, sondern die Art und Weise, wie die Menschen damit umzugehen wissen, macht das Vermögen aus. Nehmen wir die Infrastruktur eines Landes. Wenn sich die Menschen von heute auf morgen kollektiv entschlössen, als Einsiedler und Selbstversorger zu leben, was brächten uns all die Straßen, Häfen, Dampfer und Flugzeuge? Was wäre mit all den Tankstellen, Einkaufspassagen und Spielplätzen, den Parks und Schulen?

All diese Güter sind nicht durch ihr rein materielles Dasein von Wert, sondern durch ihren instrumentellen Charakter für die Ziele der Menschen. Erst der Mensch belebt sie und macht sie zu wertvollen Begleitern seines Daseins. Sie zeigen ihre Schönheit und Nützlichkeit nur insofern sie Ausdruck von Willensakten der Personen sind, für die sie erschaffen wurden. Die Vermögensbildung hat daher nicht mit dem Heben allgemeiner Geldströme oder rein wirtschaftlicher Prosperität zu tun. Die Vermögensbildung zu stärken, bedeutet den Menschen als ein Wesen zu verstehen, das sich selbst ständig neu und nach eigenem Bilde entwickeln und entwerfen kann.

Man sollte auch nicht glauben, dass eine reiche Vermögensbildung zu einer Gesellschaft eitler Gockel führt, die sich nicht mehr um ihre Mitmenschen bemühen, sondern nur noch ihrer Egomanie Ausdruck verleihen. Ganz im Gegenteil geht die Vermögensbildung mit Entwicklungen einher, die sich sogar egalisierend und humanisierend auf die Menschen auswirken. Denn Menschen, die vermögend sind, können nicht so leicht betrogen, über den Tisch gezogen oder hinter das Licht geführt werden. Sie besitzen eine bestimmte Selbstständig- und Unabhängigkeit. Wer ein Vermögen hat, ist auch für schlechte Zeiten stets gewappnet. Er ist nicht den Wogen des Schicksals restlos ausgeliefert, sondern hat eine Notration, die ihn rettet, wenn seine ursprünglichen Pläne versagen. Vermögende Personen stehen ihren Mitmenschen daher gleichberechtigt und wohlwollender gegenüber. Sie können aufhören, den anderen ihr Vermögen zu neiden, weil sie auf ihren eigenen Garten blicken können. Es lenkt auch die Lebenswege junger Menschen in geordnetere Bahnen, wenn ihnen ein langfristiger und stabiler Weg gezeigt wird, auf dem sie sich ein Vermögen erwerben können. Sie sind dann eher bereit, eine ausdauernde und gesellschaftstragende Leistung zu erbringen, über Jahrzehnte hinweg, wenn sie ihr Vermögen beim Wachsen beobachten können. Das stolze Gesicht im Spiegel des Erfolgs ist gesund und wichtig, nur der ständige Blick und die Sucht nach dem Spiegelbild endet im Narzissmus.

Sparen und Sammeln ist ein Zivilisationsprozess. Er bindet den Einzelnen an seine Mitmenschen und in seine Beziehungen. Er versöhnt den Menschen mit der sonst häufig als fremd und kalt empfundenen Umwelt, wenn er darin seine eigenen glänzenden Schätze erblicken kann. Vermögen muss also verstanden werden, als die Verlängerung des Ichs in der Welt, es ist daher Teil des Charakters und deshalb schwerlich übertragbar. Konsum kann übertragen werden, aber das Vermögen bleibt unantastbar, es übersteigt die materielle Basis der Güter, die mit ihm identifiziert werden.

Unternehmer besitzen nicht aufgrund ihrer Güter viel Vermögen, sondern weil sie es schaffen, ein Unternehmen zu leiten und am Leben zu erhalten. Man kann sehen, dass tüchtige Menschen nach einem Krieg oder einer Zerstörung ihrer Kapitalgüter schnell wieder wohlhabend werden, während Menschen, die nur durch Glück oder Zufall zu Vermögen kamen, es schnell wieder verlieren. Der LEGO-Gründer Ole Christiansen ging drei Mal durch Brand seiner Fabrik Pleite, doch das Familienunternehmen besteht noch heute. Das zeigt die ganze geistige Eindimensionalität der Diskussion um Vermögens- und Erbschaftssteuern. Sie werden nichts an der Gebundenheit des Vermögens an den Charakter der Einzelnen ändern. Wichtig ist daher nicht die reine Verteilung von Gütern, sondern die Möglichkeit jedes Einzelnen, seine Anlagen maximal ausschöpfen zu können.

Darüber hinaus besteht der Stolz des Hausbesitzers, Kleingärtners oder Hobbyrennfahrers nicht in der so oft unterstellten Konsumsucht des Menschen, sondern in seinem Wunsch, sich eine Umwelt zu erschaffen, die nach seinen Ideen geordnet ist. Vermögensgüter sind kleine Fluchträume, in denen der Mensch sein eigener Gott zwischen Himmel und Erde werden kann. In jedem Menschen steckt daher ein Gärtner, der gern den Wildwuchs der Natur durch seine Planung und seine Anstrengungen in eine blühende Landschaft verwandeln möchte. Man muss deshalb begreifen, dass nicht die Dinge der Ursprung des Wunsches sind, Vermögen anzuhäufen, sondern, dass es sich um ein Streben in uns Menschen handelt, das wir nicht abschalten können. Der Liberale akzeptiert und forciert diese Suche des Menschen nach Selbstausdruck, weil sie fruchtbar ist.

Alle großen Kulturerzeugnisse sind letzten Endes das Ergebnis von Eitelkeiten und Selbstdarstellungen von Menschen. Aber wollen wir denn nicht Shakespeares Wunsch nach Aufmerksamkeit lesen, wollen wir nicht die letzten Ruhestätten der Pharaonen vor mehr als 3000 Jahren bewundern, lieben wir es nicht, die Musik der großen Genies zu hören? Die Vorstellung Kultur und Fortschritt des Menschen sei abseits seiner Individuation möglich, zeugt von purer Unkenntnis der menschlichen Spezies.

Der Mensch ist sowohl ein Wesen, das sich gern zu Gruppen bekennt, wenn es sich ihnen verbunden fühlt, als auch ein Wesen, zu dem der Wunsch gehört, sich von dieser Gruppe als einzigartiges Wesen wiederum zu unterscheiden. Sich von der Masse abzuheben. Diese Spannung ist ein häufiges Thema der Prosa und der Poesie geworden. Hermann Hesse schrieb bspw.:

„Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben Licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.
Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt.
Das unentrinnbar und leise,
Von allem ihn trennt.
[…] Leben ist einsam sein.
Keiner Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.“

Im Nebel, Hermann Hesse, 1877.

In diesen Zeilen drückt sich die Sehnsucht des Menschen nach Aufgehobenheit aus, die aber zum Alptraum würde, wäre sie vollzogen. Das vollständig aufgehobene Individuum würde sich sofort nach einer Möglichkeit sehnen, auszubrechen, wie Madame Bovary, die alles hat, was sich eine Frau des 19. Jahrhunderts wünschen konnte, und dennoch unglücklich war.

Begreift man den Wunsch nach Vermögensbildung als anthropologische Konstante, versteht man die Forderungen des Liberalismus besser, das Eigentum des Einzelnen derart hoch zu schätzen. Es geht um die Frage, ob man es den Individuen erlaubt, sich selbst in der Welt auszudrücken, ihren Stempel in der Welt zu hinterlassen, ihre Namen in den Sand zu schreiben. Wer diesen Wunsch bejaht, muss auch den Wunsch nach Vermögensbildung ernst nehmen und nach Kräften fördern.

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